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„Sophia, der Tod und ich.“ – Gastspiel Staatstheater Mainz
16. Mai
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20:00
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22:30
Das CAPITOL in Nordhorn ist nicht nur ein Ort für Kultur – es ist selbst ein Stück Kunstgeschichte. Mitten in den Sanierungsarbeiten kamen zwei beeindruckende Wandgemälde zum Vorschein, geschaffen vom fast in Vergessenheit geratenen Künstler Jan Temme. Seine Werke erzählen Geschichten von fernen Orten, von Venedig bis Kairo, und spiegeln ein Leben wider, das von Kunst, Handwerk und Bildung geprägt war.
Auf dieser Seite laden wir dich ein, tiefer einzutauchen: in die Geschichte des CAPITOLs, die Entdeckung und Restaurierung der großflächigen Wandmalereien und das Leben von Jan Temme – einem Künstler mit Theaterblut in den Adern, einem Lehrer aus Leidenschaft und einem Maler mit ganz eigenem Blick auf die Welt.
Neben den monumentalen Wandbildern kannst du hier auch mehr über weitere Werke entdecken, wie etwa ein wiedergefundenes Bleiglasfenster, das heute im Foyer des Hauses einen besonderen Platz einnimmt.
Die Kunst im CAPITOL lebt – und wir erzählen ihre Geschichte…
Ein Künstler zu verstehen bedeutet, mehr über die Person hinter den Bildern zu erfahren. Die Lebensgeschichte eines Malers kann uns dabei helfen, seine Werke in einem tieferen Kontext zu betrachten und besser zu verstehen. In diesem kurzen Artikel möchten wir euch einen Einblick in das Leben von Jan Temme geben, dessen Wandgemälde wir bei den Restaurationsarbeiten im CAPITOL wiederentdeckt haben.
Geboren wurde Jan Temme am 17. Mai 1923 in Veldhausen. Sein Vater war Malermeister, und so wuchs er in einer künstlerischen Umgebung auf. Doch die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse zwangen die Familie im Jahr 1927, in die nahegelegene Textilstadt Nordhorn umzusiedeln. Dort verbrachte er seine Jugendjahre mit seinen drei jüngeren Geschwistern.
Bereits während seiner Lehrzeit begann er zu malen und zu zeichnen. Er experimentierte mit Aquarellen und Ölbildern, und obwohl seine frühen Arbeiten noch keine eigene künstlerische Handschrift zeigten, legten sie den Grundstein für seine spätere Entwicklung. Ein prägender Moment in seinem Leben war der Besuch der Malerfachschule in Rheine im letzten Lehrjahr, wo er von einem inspirierenden Lehrer namens Naß unterrichtet wurde. Dieser Lehrer vermittelte ihm grundlegende Zeichen- und Maltechniken sowie die Prinzipien der Farbenlehre, von denen er noch viele Jahre später in seiner eigenen Karriere als Lehrer profitierte.
Nach seiner Lehre wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, wo er in Stralsund diente. Seine Zeit in der Armee verstärkte seinen Widerwillen gegen die nationalsozialistische Ideologie und das Militär, der bereits durch sein anti-militaristisches Elternhaus geprägt war. Sein Dienst führte ihn auch nach Frankreich, insbesondere in die Provence, wo er in Orange/Camaret in der Nähe von Arles stationiert war. Diese Erfahrungen und die Landschaft prägten sein späteres Verständnis der Kunst von Vincent van Gogh. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg und seiner Entlassung aus der amerikanischen Gefangenschaft sah er sich mit den wirtschaftlichen Herausforderungen der Nachkriegszeit konfrontiert. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, malte er Porträts nach Fotos, die ihm von Angehörigen zur Verfügung gestellt wurden. Als Belohnung erhielt er Nahrungsmittel und andere dringend benötigte Güter.
In dieser Zeit begann er auch privat intensiver zu malen und hatte bereits erste bescheidende Ausstellungen in einer Nordhorner Buchhandlung. Daraus entstanden dann auch um 1946 herum erste öffentliche Aufträge für die künstlerische Raumgestaltung. So gestaltete Jan Temme mehrere Wandmalereien unter anderem im Landratsamt und Hauptzollamt, sowie die großen Wandmalereien im CAPITOL.
Im Jahr 1947 wurde er als Bühnenbildner an die „Städtischen Bühnen Nordhorn“ berufen, wo er mit einem talentierten Ensemble zusammenarbeitete und für die Gestaltung von Bühnenbildern verantwortlich war. Diese Zeit endete 1948 nach der Währungsreform. Nach der Meisterprüfung im Malerhandwerk 1950 erhielt Jan Temme die Zulassung für ein dreijähriges Studium an der Akademie der bildenden Künste in München wo er ein Schüler von Prof. Josef Oberberger wurde der ihn stark prägte.
Nach dem dreijährigen Studium in München eröffnete Temme in Nordhorn ein ,,Atelier für angewandte Kunst“. Im Laufe der Jahre 1953 bis 1956 erhielt er eine Reihe öffentlicher Aufträge: den Entwurf für die Anfertigung einer Serie von Glasfenstern in Ätztechnik nach Motiven aus der Arbeitswelt für das Arbeitsamt Nordhorn, die Anfertigung einer farbigen Bleiverglasung in der Kreishandwerkerschaft Nordhorn, von Reliefs in Metall- und Sgraffitotechnik in verschiedenen Schulen.
In der Erkenntnis, dass seine künstlerische Tätigkeit allein nicht ausreichend für seinen Lebensunterhalt war, entschloss er sich 1956, das Abitur abzulegen und begann ein Studium an der Pädagogischen Hochschule für Gewerbelehrer. Dort traf er seine zukünftige Frau, Hannelore Wierscher, und gründete eine Familie aus der zwei Kinder hervorgingen. Nach seinem Studium wurde er Gewerbeoberlehrer und unterrichtete an verschiedenen Schulen in Wittmund und Leer. Seine Karriere als Künstler und Lehrer führte ihn zu verschiedenen Schulen und Institutionen, und er wurde ein geschätzter Lehrer und Künstler in seiner Gemeinde. Sein Wirken als Kunsterzieher umfasste nicht nur das Lehren von Techniken, sondern auch die Vermittlung von Kunstgeschichte und die Förderung der künstlerischen Bildung junger Menschen. 1982 trat Temme in den Ruhestand. 1986 verzog der Jan Temme nach Hannover, wo er nach langer Krankheit 2005 starb.
Seine Biografie zeigt, dass sein Leben geprägt war von künstlerischem Schaffen, Lehrtätigkeit und der Bewältigung der Herausforderungen der Zeit, in der er lebte. Diese Einblicke in sein Leben können dazu beitragen, seine Werke besser zu verstehen und schätzen zu lernen.
Susanne Augat (Leiterin des Kunsthauses Leer) ist Verwalterin der Sammlung von Jan Temme und zeigte sich bei der Sichtung der Kunstwerke vor Ort beeindruckt. Zu Beginn der Restaurationsarbeiten im CAPITOL 2023 besuchte uns Frau Dr. Kerstin Klein vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege aus Hannover und zeigte sich ebenso imponiert aufgrund der Größe der Wandmalereien, die im norddeutschen Raum für einmalig gehalten werden. In Zusammenarbeit wurde einen Stiftungsantrag bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz für die Restaurierung und Konservation der Wandbilder gestellt. Die Konservierungs- und Wiederherstellungsarbeiten wurden dann von von einem Expertenteam rund um Markus Schmidt durchgeführt.
Im Rahmen der umfangreichen Sanierungsarbeiten des ehemaligen Kinos an der Neuenhauser Straße in Nordhorn – dem heutigen CAPITOL – wurde eine beeindruckende Entdeckung gemacht: Hinter alten Vorhängen kamen zwei großflächige Wandgemälde des Künstlers Jan Temme zum Vorschein, die jahrzehntelang verborgen geblieben waren. Diese Werke zeigen den Markusplatz in Venedig auf der linken Seite des Saals und eine orientalische Szene mit einer Moschee in Kairo auf der rechten Wand – insgesamt rund 55 Quadratmeter große Gemälde, die über die gesamte Wandhöhe reichen.
Die Malereien zeichnen sich durch eine besondere räumliche Tiefe aus – mit gemalten Säulen, Seilen und architektonischen Elementen, die an Temmes Vergangenheit als Bühnenbildner erinnern. Auffällig ist die lockere, eher flächige Malweise: Figuren werden nur angedeutet, die Kompositionen sind darauf ausgelegt, aus der Distanz zu wirken. Temme selbst verewigte sich in einem Schiff auf dem Venedig-Gemälde mit seiner Signatur.
Die Restaurierungsarbeiten übernahm der erfahrene Restaurator Markus Schmidt, der gemeinsam mit seiner Kollegin seit dem 1. Juli an der behutsamen Freilegung und Konservierung der Bilder arbeitet. Besonders herausfordernd ist der Zustand der rechten Wandmalerei (Kairo): Durch jahrzehntelange Feuchtigkeitseinwirkung sind rund ein Viertel des Motivs unwiederbringlich verloren. Die beschädigten Bereiche werden daher nicht rekonstruiert, sondern mit Erdfarben in ähnlicher Farbgebung optisch angepasst – so bleibt die Authentizität des Werkes erhalten.
Eine zusätzliche Schwierigkeit stellte eine feine Schicht Altrosa-Farbe dar, die sich über beide Gemälde gelegt hatte. In den 1970er-Jahren wurde bei der Renovierung des Saals offenbar probeweise direkt auf den Bildern gesprüht. Da diese moderne Farbe und Temmes Originalfarben das gleiche Bindemittel enthalten, war es technisch anspruchsvoll, die aufgesprühte Farbe zu entfernen, ohne die darunterliegende Malerei zu beschädigen.
Auch der ursprüngliche Putz war stellenweise lose oder stark beschädigt. Während auf der Kairo-Seite der brüchige Putz abgetragen und neu aufgebaut werden musste, genügte es auf der Venedig-Seite, Risse zu verfestigen und kleinere Schäden auszubessern. Dabei kamen ausschließlich natürliche Materialien und originalgetreue Techniken zum Einsatz – unter anderem wurde der Putz im Labor analysiert, um die genaue Zusammensetzung herauszufinden.
Die Restaurierung erfolgt also nicht als vollständige Neumalerei, sondern mit dem Ziel, die Substanz so weit wie möglich zu bewahren und verlustfrei zu dokumentieren. Bis Mitte September sollen die Hauptarbeiten abgeschlossen sein, sodass die Werke pünktlich zur Eröffnung des neuen CAPITOL-Kulturtreffs im Oktober erstmals wieder öffentlich gezeigt werden können.
Wiederentdecktes Bleiglasfenster von Jan Temme im CAPITOL zu sehen
Die beiden Wandgemälde im CAPITOL sind nicht die einzigen Werke des Künstlers Jan Temme, die dort einen Platz gefunden haben. Dank eines Hinweises aus einem Buch machte sich Bernhard Janßen, ehemaliger Kulturamtsleiter des Landkreises, auf die Suche nach weiteren Arbeiten Temmes – mit Erfolg: Auf dem Dachboden der Kreishandwerkerschaft stieß er auf ein von Temme gestaltetes Bleiglasfenster. Dieses Kunstwerk hat inzwischen als Dauerleihgabe seinen festen Platz im Foyer des CAPITOLs gefunden.
Neue Schätze im CAPITOL: Mehr als nur Jan Temme
Neben den beeindruckenden Wandgemälden von Jan Temme haben wir auch einige ganz besondere „Fundstücke“ liebevoll restauriert, die ehemaligen Gästen genauso am Herzen liegen wie uns:
Alter Ticketautomat
Direkt aus dem ursprünglichen Kassenhäuschen: Unser originaler Ticketautomat wurde komplett überholt und versprüht jetzt wieder nostalgischen Charme im Foyer.
Kinoprojektor
Aus dem Vorführsaal gerettet und per Kran ins Licht geholt: Der schwere, alten Projektor stehen nun als eindrucksvolle Zeitzeugen mitten im Eingangsbereich.
Sarotti-Schokoladenwagen aus Glas
Unser nostalgischer Schoko-Verkaufswagen erstrahlt nach aufwendiger Glas-Restauration in neuem Glanz – und dient jetzt wieder als süße Anlaufstelle für Kino-Snacks.
Diese Exponate erzählen nicht nur die Geschichte des CAPITOLs, sondern wecken bei vielen Besuchern Erinnerungen an frühe Filmabende. Schau vorbei und entdecke neben Temmes Kunstwerken auch diese kleinen Schätze aus unserer gemeinsamen Vergangenheit!
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