Vor wenigen Tagen haben wir in der Ausgabe der Nordhorner Nachrichten vom 11. August 1939 einen interessanten Bericht über die Eröffnung des CAPITOLs, heute genau vor 85 Jahren gefunden.
Besonders überrascht waren wir über die ausführliche Darlegung der baulichen Gegebenheiten zur Eröffnung und die beteiligten regionalen Handwerksbetriebe, die die Gewerke ausgeführt haben. Um den Text zur Eröffnung jedoch besser einordnen zu können, muss er im Kontext der damaligen Zeit verstanden werden:
Das CAPITOL wurde kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eröffnet, nach dem über längere Zeit ein Streit um die Finanzierung des geplanten Neubaus das Bauvorhaben verzögerte. Seit Mitte der 20er Jahre waren die „CAPITOL-Lichtspiele“ im Saal des „Rolinck-Bräu“ an der Neuenhauser Str. 8 beheimatet, ehe Karl Johannes Mertens den Plan eines modernen Kinoneubaus vorantrieb, nachdem seine Frau Ernestine Mertens die Kinoleitung aufgrund eines Augenleidens aufgeben musste. Neben den „CAPITOL-Lichtspielen“ gab es 1938 in Nordhorn, das damals etwa 23.500 Einwohner hatte, noch die „Schauburg-Lichtspiele“ (Inhaber Hesselink, 218 Plätze) sowie das „Union-Theater“ (Inhaber Bernhard Essmann, 264 Plätzen). Das 550 Sitzplätze fassende CAPITOL sollte somit nicht nur aufgrund der großen Kapazität in Nordhorn neue Maßstäbe setzen, sondern auch mit modernster Projektions- und Tontechnik aufwarten.
Ursprünglich war die Eröffnung des Neubaus bereits für den Winter 1938 geplant, doch dies scheiterte jedoch an langen Streitigkeiten um die Höhe der zu erbringenden Pacht (das Grundstück gehörte der Firma RAWE). Der umfangreiche Briefwechsel zwischen den beteiligen Interessengruppen konnte im Kreisarchiv dokumentiert werden und liegt uns dazu vor. Nach erfolgslosen Vermittlungsversuchen des Bürgermeisters wurde letztendlich durch hohen Druck der Reichsfilmkammer und der Gauleitung der Kinoneubau „bestimmt“. Für das NS-Regime waren neben der gleichgeschalteten Presse vor allem die Kinos ein sehr wichtiges Propagandainstrument. Kinos wurden in der Regel nicht verstaatlicht und blieben in privater Hand, das Programm wurde jedoch von der Reichsfilmkammer bestimmt bzw. ein „Beiprogramm“ aus NS-Propagandafilmen und Wochenschauen verpflichtend auferlegt und diktiert.
Der Artikel gibt uns somit nicht nur einen Einblick in das damals neue CAPITOL, sondern spiegelt auch die politischen und kulturellen Prioritäten der NS-Zeit wider. In den Folgejahren bis zum Ende des 2. Weltkriegs diente das CAPITOL somit nicht nur als Kinosaal, sondern auch als wichtiger Ort für die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda. Das Kino wurde regelmäßig für die Aufführung von NS-Propagandafilmen genutzt, die zur Stärkung des Regimeideals und zur Beeinflussung der Bevölkerung beitrugen. Zudem fanden im CAPITOL auch NS-Partei-Versammlungen und andere politische Veranstaltungen statt, die der Mobilisierung und Indoktrination der Bevölkerung dienten. Diese historische Perspektive ist entscheidend, um den Zeitungsbericht einzuordnen.
Der Bericht beschreibt das CAPITOL als ein beeindruckendes Bauwerk, das in seiner Architektur und Ausstattung der Zeit weit voraus war. Die Betonung liegt auf der ästhetischen und technischen Exzellenz des Kinos, das als Symbol für Fortschritt und nationale Einheit dienen sollte. Mit modernen Vorführmaschinen, innovativen Lautsprecheranlagen hebt sich das CAPITOL als technisches Meisterwerk hervor, das die Kinobesucher mit einer unvergleichlichen Erfahrung begeistern sollte. Die technischen Details, die im Artikel hervorgehoben werden, wie die doppelt aufgestellten Geräte für die unterbrechungsfreie Vorführung und die fortschrittliche Lautsprechertechnik, verdeutlichen den hohen Anspruch, den das CAPITOL in Sachen Kinotechnik setzte. Diese technischen Neuerungen sollten nicht nur den Komfort der Zuschauer verbessern, sondern auch die hohe Leistungsfähigkeit des CAPITOLs unter Beweis stellen.
Die umfangreichen Maurerarbeiten wurden von der Firma H. Gervin & Co. durchgeführt, deren „Bauarbeiter für ihre saubere und präzise Arbeit anerkannt wurden“. Die Zimmererarbeiten wurden von den Firmen J. Haberkamp und Leferink übernommen, während die prächtigen Türen aus der Werkstatt von Hermann Buitkamp stammten. Die schwierigen Dachdeckerarbeiten wurden von dem jungen Unternehmer Peus, der später den Meisterbrief erhielt, ausgeführt. Die Anstreicherarbeiten wurden von den Meistern Geerligs, Diethuis und Runge durchgeführt, und alle Polsterarbeiten stammten von Wilhelm Sonne. Die prächtigen Stoffe für die Wandbespannung wurden von der lokalen Textilindustrie geliefert.
Besonders hervorzuheben ist die Ankündigung, dass das CAPITOL Anfang September 1939 die bekannte Schauspielerin Marika Rökk „in Lebensgröße“ empfangen würde. Marika Rökk war eine beliebte Schauspielerin und für das NS-Regime ein Symbol für die filmische Glanzzeit des Nationalsozialismus.
Leider ist uns aktuell nicht bekannt, ob es tatsächlich zu diesem Besuch in Nordhorn gekommen ist…
Der Presseartikel vom 11. August 1939 (weiter unten der Text in Reinschrift):
Heute Abend wird in einem schlichten Festakt der Capitol-Neubau an der Neuenhauser Straße eröffnet. Aus Anlass der Fertigstellung des Neubaus hatte unser Schriftleiter eine Unterredung mit dem Inhaber, bei welcher Gelegenheit er sich von der vortrefflichen Anlage überzeugen konnte. Ein Heer von Handwerkern ist seit Wochen Tag und Nacht beschäftigt, das Lichtspieltheater fristgemäß herzurichten. Der Neubau dieser großzügigen Kulturstätte bedeutet für das Stadtbild Nordhorns eine schöne Bereicherung, zumal er sich in seiner klaren Front dem Straßenzug recht unaufdringlich einfügt. Den Theaterraum, über dem eine abgeschlossene Wohnung eingerichtet ist, erreicht der Besucher durch einen geräumigen Vorraum mit Kassen- und Garderobenraum (sowie den Eingängen zu den unterirdischen Aborten). Er wirkt durch seinen wenigen Schmuck, seine geschickte Beleuchtung aus stilvollen Lampen außerordentlich ansprechend. Der ganze große Bau ist licht, hell, freundlich und mit seiner modernen Einrichtung geeignet, unserem kulturellen Leben eine tiefere Wirkung zu ermöglichen.
Unsere Leser mögen uns auf unserem Rundgang durch das neue Capitol begleiten und sich selbst ein Bild von der Schönheit und Zweckmäßigkeit des Neubaus machen.
Das neue Capitol, dessen Inhaber der Kaufmann Johannes Mertens ist, ist der erste Zweckbau der Grafschaft und des Emslandes. Seine gediegene Planung fand die Zustimmung der Reichsfilmkammer und der Dienststellen des Reichspropagandaministeriums. Vor einem Jahr sind die Vorarbeiten für den schmucken Bau in Angriff genommen worden. Unsäglicher Mühe und Kleinarbeit bedurfte es, bis das Capitol in seiner jetzigen Gestalt entstehen konnte. Der Grundriss, der den überlegenen Könner verrät, stammt von unserem Stadtbaumeister Krieger. Nach seinem Plan hat Architekt Pg. Probst den weiteren Entwurf fertiggestellt und die Bauleitung geführt. Durch diesen reifen Bau, durch die vornehme und ruhige Gestaltung des weiten Theaterraumes, hat sich Pg. Probst in die erste Reihe unserer heimischen Bauschaffenden gestellt.
Die umfangreichen Maurerarbeiten hat die Firma H. Gervink & Co. besorgt. Ihre Bauarbeiter haben, wie alle Nordhorner Handwerker, saubere Arbeit geleistet, die jeglicher Kritik standhält. In die Zimmererarbeiten teilten sich die Firmen J. Haverkamp und Leferink. Die prächtigen Türen entstammen der Werkstatt von Hermann Buitkamp. Die schwierigen Dachdeckerarbeiten haben dem jungen Unternehmer Peujn den Meisterbrief eingetragen. Die Anstreicherarbeiten wurden wiederum drei Firmen übertragen, und zwar den Meistern Geerligs, Diekhuis und Runge. Alle Polsterarbeiten hat Meister Wilhelm Sonne ausgeführt. Die prächtigen Stoffe für die Wandbespannung lieferte die hiesige Industrie. — Bemerkenswert ist der eigene Parkplatz neben dem Neubau.
Was die behagliche Inneneinrichtung angeht, so ist auch hier Wert darauf gelegt, dass alle Farben wohl aufeinander abgestimmt sind und sich insgesamt ein Raum von wunderschöner Harmonie und Geschlossenheit ergibt, in dem sich jeder Gast gern aufhalten wird. Jeder Klappstuhl, feinstes sächsisches Fabrikat, ist gepolstert und mit blauem Genua-Cord bespannt, und zwar in einer Anzahl, die doppelt so groß ist wie die Sitzplätze, über die das alte Capitol verfügte. Der Fußboden hat Parabelführung, das heißt, jeder Besucher hat von erhöhtem Sitz freien Blick auf die 45 Quadratmeter Bildfläche. Parabelführung bedeutet ebenfalls den Fortfall aller störenden Stufen. Der Saal hat selbstverständlich eine doppelte Entlüftung und neben der Zentralheizung (Firma Haubrich) eine Klimatisierungsanlage erhalten. Sie ermöglicht im Sommer die regelmäßige Beschickung des Zuschauerraumes mit eisgekühlter und im Winter die Zufuhr von frischer Luft. Die Beleuchtungskörper im Theaterraum und in allen Vorräumen sind von erlesenem Geschmack, sind blattvergoldet und stellen beste und exakteste Handarbeit eines münsterischen Meisters der Schmiedekunst dar. Auf der Bühne wird das Auge zunächst von dem farbenprächtigen Vorhang in Fleischrot gefesselt, der elektrisch und völlig geräuschlos bedient wird. Wenn er von 22 Leuchtkörpern angestrahlt wird, ergibt sich ein feenhaftes Bild. Vom Vorraum erreichbar sind die hygienisch einwandfreien Aborteinlagen, die die Firma ten Brink aufstellte.
Der Vorführraum wird durch einen gesonderten Aufgang erreicht. In ihm sind zwei Vorführmaschinen des Fabrikats Bauer aufgestellt, die eine pausenlose Vorführung garantieren. Die Männer der Ufa, erfahrene Fachleute, sind gerade bei unserem Besuch mit der letzten Überprüfung der empfindlichen Apparatur beschäftigt. Liebenswürdigerweise versuchen sie, uns Laien den Vorgang zu erklären, und wir erfahren, dass bei dieser Apparatur jegliche Brandgefahr ausgeschlossen ist. Die Maschinen sind luftgekühlt. Interessant ist, dass das neue Becklicht, eine spezielle Lichtquelle, dem normalen Licht um das Drei- bis Sechsfache überlegen ist, wodurch der Film und seine Bilder weitaus plastischer erscheinen. Eine automatische Vorrichtung regelt die Lichtstärke und verhindert jegliches Schwanken derselben. Die Tonfilmapparatur ist neu und stellt die vollkommenste Einrichtung dar, die gegenwärtig gebaut wird. Es ist eine Lautsprecherkombination verwendet worden, die geradezu verblüffend arbeitet.
Es sind zwei Lautsprecheranlagen geschaffen und miteinander verbunden, von denen der eine Lautsprecher zur Wiedergabe tiefer, der andere zur Wiedergabe hoher Töne dient. Damit besonders die hohen Töne zu jedem Hörer im weiten Raum dringen, ist der Schalltrichter des einen Lautsprechers in zwölf nach verschiedenen Richtungen gestellte Schalltrichter unterteilt. Die Wirkung der Apparatur ist einzigartig und befriedigt ganz gewiss auch empfindliche und kritische Ohren.
Neben dem Vorführraum liegt der Raum mit den umfangreichen Schaltanlagen, durch die sich nur der geübte Fachmann hindurchfinden kann. Das ist das Herz des Betriebs. In einem dritten Raum ist die Notbeleuchtungsanlage untergebracht. Erstaunlich ist, dass alle Geräte doppelt aufgestellt sind, sodass bei einer Störung des einen sofort auf das andere Gerät umgeschaltet werden kann. Sollte die Stromversorgung des Werkes gestört werden, sorgt eine eigene Stromquelle der Akku-Anlage für Licht- und Kraftstrom. In allen Räumen, deren Fenster sich bei Überdruck selbst öffnen, ist der Forderung nach Schönheit der Betriebs- und Arbeitsräume weitestgehend Rechnung getragen.
Alle Sicherheits- und Beleuchtungsvorrichtungen, die für ein neuzeitliches Lichtspielhaus vorgeschrieben sind, sind eingebaut. Zweifellos wird auch die Einrichtung von drei Schwerhörigenanlagen besonders begrüßt werden.
Der Inhaber des Capitols, das in seiner vollkommenen Einrichtung und in seiner schlichten, aber ungemein eindrucksvollen Innenausstattung jeder Großstadt zur Ehre gereichen würde, versicherte uns zum Abschluss unseres Besuchs, dass im Laufe der kommenden Monate die Spitzenfilme der Ufa und Tobis gezeigt würden. Anfang September werden die Nordhorner Filmfreunde die Freude haben, die charmante Marika Rökk in Lebensgröße unter sich begrüßen zu können. Im Laufe des Winters wird eine Reihe von weiteren Filmlieblingen Nordhorn einen Besuch abstatten, um sich einmal ihren Nordhorner und Grafschafter Freunden zu zeigen, mit ihnen über ihre Arbeit zu plaudern und sich von ihnen feiern zu lassen.
Leider konnte zur Eröffnung eine Kopie des Films „Unser wehrhaftes Volk — Der Westwall“ nicht beschafft werden, aber er wird ganz sicher in der kommenden Woche im Hauptprogramm des Capitols gezeigt. Schließlich wird insofern eine Neuerung geschaffen, als von September an die Pforten der neuen Kulturstätte schon nachmittags um 5 Uhr geöffnet werden, um allen Volksgenossen zu ermäßigten Preisen auch die besten Filme deutscher Filmkunst vorführen zu können. Filme, die zu dem Schönsten und Besten zählen, was deutsche Künstler überhaupt geschaffen haben (beispielsweise „Robert Koch“ mit Emil Jannings, der gerade in diesen Tagen in Venedig unter ungeheurem Beifall weltweit uraufgeführt wird, und „Es war eine rauschende Ballnacht“ mit Gisela Leander und „Kadetten“ von Professor Karl Ritter).
Wir verabschiedeten uns mit dem Wunsch, dass das neue Capitol stets eine Stätte deutscher Kunst und nationalsozialistischer Gemeinschaft sein möge.
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